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27. Juni 2009 : Kriege, die nicht so heißen dürfen

Leserpost zum Bericht der MAZ vom 26. Juni 2009, S. 4 „Das ungeliebte K-Wort“

„Kriege im klassischen Sinne hat es seit 1945 nicht mehr gegeben.“ Mit diesem an sich ungeheuerlichen Satz wird eine Völkerrechtlerin der Freien Universität Berlin zitiert. Nun weiß ich nicht, was die Dame in diesem Zusammenhang unter „klassisch“ versteht. Nehmen wir die althergebrachten Quellen. Mayers Konversations-Lexikon definiert 1879 Krieg als „Zustand gewaltsamen Kampfes zwischen Staaten, Völkern oder Parteien eines Staates zur Behauptung streitiger Rechte.“ Und das Brockhaus Konversations-Lexikon aus dem Jahre 1908 erklärt Krieg „als das letzte, in Kampf auf Leben und Tod bestehende Mittel zur gewaltsamen Entscheidung der zwischen zwei Völkern (Staaten, polit. Parteien) schwebenden Streitfragen.“ Und falls diese Erklärungen zu antiquiert sind, nun eine moderne Definition: „Zwei oder mehr bewaffnete Streitkräfte sind an den Kämpfen beteiligt, wobei es sich mindestens in einem Fall um eine reguläre Armee oder andere Regierungstruppen handelt“.[1] Und so etwas soll laut Heike Krieger seit 1945 nicht mehr geschehen sein.

Nun frage ich, wie nennt diese Dame die Auseinandersetzungen, die beispielsweise Frankreich und später die USA mit Vietnam hatten? Was war das zwischen Iran und Irak, zwischen der UdSSR und Afghanistan, mehrfach zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn, zwischen England und Argentinien als es um die Falklandinseln ging und nicht zuletzt die beiden Aktionen der USA gegen den Irak? Waren das alles „Interventionen auf Einladung“, wie die Völkerrechtlerin so liebevoll den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan definiert. Übrigens will die Sowjetarmee 1968 mit ihren Verbündeten ebenfalls nur „auf Einladung“ die CSSR besetzt gehabt haben.

Die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) bei der Universität Hamburg zählt dagegen 238 Kriege (!) in der Zeit von 1945 bis 2007. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und bis Ende 1992 ist eine fast stetige Zunahme der weltweiten Kriegsbelastung von etwa einem laufenden Krieg pro Jahr zu beobachten. Seit Ende des 2. Weltkrieges soll es weltweit nur an 26 Tagen keinen Krieg gegeben haben. Im Internet ist nachzulesen, daß seit 1945 etwa 25 bis 35 Millionen Menschen Todesopfer von Kriegen wurden – und zwar von im klassischen Sinne nicht stattgefundenen Kriegen nach Meinung der Wissenschaftlerin der FU. Ob das den Toten ein Trost sein wird?

In Nürnberg wurden deutsche Politiker und Militärs nach 1945 gehenkt, u. a. wegen der Vorbereitung  und Durchführung eines Angriffskrieges. Dieselben Mächte, die damals als Ankläger tätig waren, gehören regelmäßig zu den Kombattanten der zahllosen Konflikte, die seit dem stattgefunden haben und noch am Laufen sind. Kann es sein, daß auf deren Wunsch die Kriege von heute nicht mehr Kriege heißen dürfen?

Der Leserbrief ist ungekürzt in der MAZ veröffentlicht worden.

Darauf hin folgende Anfragen an die Frau Professorin bei der FU Berlin, ob sie eventuell falsch zitiert worden ist, oder falls sie wirklich meint, es hätte seit 1945 "im klassischen Sinne" keine Kriege mehr gegeben, ob das nun ihre ganz persönliche Meinung oder gar die geltende Lehrmeinung an der Universität wäre, hat die Dame umbeantwortet gelassen.

[1] Istvan Kende, Kriege nach 1945. Eine empirische Untersuchung, Frankfurt/Main 1982